Barrierefreies Bauen und Leben in der Bahnstadt
Reportage zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember
Die im Boden versenkten Altglas-Container am Gadamerplatz in der Bahnstadt fallen kaum auf. Oft fährt man sogar an ihnen vorbei, denn sie ragen kaum einen Meter über den Boden. Für Menschen wie Czeslaus Mandalka ist diese Höhe jedoch ganz entscheidend: Mandalka kann dort problemlos sein Leergut entsorgen – auch vom Rollstuhl aus. „Das ist eigentlich eine Kleinigkeit“, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Beirats für Menschen mit Behinderungen (BMB) und Bahnstadtbewohner. „Aber sie trägt zu einem selbstbestimmten Leben bei.“
Die meisten Menschen verbinden Barrierefreiheit mit Rollstuhlrampen und Fahrstühlen. Doch das sei nur ein kleiner Teil von barrierefreiem Bauen, erläutert die kommunale Behindertenbeauftragte der Stadt Heidelberg, Christina Reiß. „Barrierefreiheit muss vernetzt gedacht werden. Auch der Gang zum Bäcker oder zur Nachbarin muss barrierefrei sein“, erklärt Reiß. Neue Stadtteile wie die Bahnstadt sind dabei im Vorteil. Dort haben die Stadtplanenden die Barrierefreiheit von Anfang an mitdenken können. „Das Nachrüsten ist das eigentlich Teure“, sagt Reiß.
Dem stimmt auch Thomas Rebel vom Stadtplanungsamt der Stadt Heidelberg zu. Barrierefreiheit umfasst ganz unterschiedliche Gruppen, von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen bis hin zu Sehbehinderten und chronisch Kranken. Die Stadt habe daher von Anfang angestrebt, in der Bahnstadt möglichst viel Raum allen Menschen zugänglich und nutzbar zu machen. Konkret bedeutet das, dass fast alle Gebäude über offene Innenhöfe verfügen. „Das soll soziale Anonymität verhindern“, erläutert Rebel. Barrierefreiheit könne man nämlich nicht nur durch bauliche Maßnahmen erreichen. Auch der regelmäßige Kontakt mit Menschen, sei es zur nachbarschaftlichen Hilfe oder einfach zum Plausch, ermöglicht die Teilhabe am Leben in der Bahnstadt. Mandalka verdeutlicht dies anhand der sogenannten „Langen Tafel“ an der Pfaffengrunder Terrasse. Dort befinden sich große Aussparungen an mehreren Seiten, damit Rollstuhlfahrerende auch Platz nehmen können. Auch die Erreichbarkeit von Gastronomie und Supermärkten sei generell gut. „Man muss als Rollstuhlfahrer die Bahnstadt eigentlich nicht verlassen“, sagt der hauptberufliche Online- und Digital-Marketing Manager.
Beirat für Menschen mit Behinderungen in Planungen involviert
Ein anderes Beispiel sind die Parkstreifen. „In der Bahnstadt haben wir bewusst die Parkplätze so angelegt, dass die Autos in der Regel den Gehweg nicht blockieren können,“ erklärt Rebel. Auch Mandalka zeigt sich zufrieden von der Befahrbarkeit der Gehwege. Die Straßen seien prinzipiell sehr gut befahrbar mit dem Rollstuhl. Oft parkten aber Menschen die Kreuzungen mit Autos oder E-Rollern zu, was ein Überqueren gefährlicher mache. „Das nervt aber im ganzen Stadtgebiet“, sagt Mandalka.
Um bestmögliche Lösungen zu finden, ist an zahlreichen Stellen der Beirat für Menschen mit Behinderungen (BMB) in die Straßenplanung involviert. In Testprojekten wurden unterschiedliche Baumaterialien, Farbgebung und Aufbauten ausprobiert. Die Beteiligung des BMB sei sehr positiv gewesen und man habe viele Ergebnisse gemeinsam umgesetzt, sagt Rebel. Einige Bauherren könnten in punkto Barrierefreiheit aber noch nachbessern. Mal haben Gebäude eine hohe Eingangsstufe, mal fehlt eine elektronische Öffnungsmöglichkeit. „Da, wo wir involviert gewesen sind, da ist es deutlich besser gemacht worden“, sagt Mandalka.
Stadtteil der kurzen Wege
Czeslaus Mandalka ist zufrieden mit seiner Wohnsituation in der Bahnstadt. Die Bahnstadt sei für Menschen mit Behinderung alternativlos in Heidelberg. „Ob Home-Office oder der Gang zum Arzt: Das Meiste ist gut machbar“, meint Mandalka. „Und die Promenade ist schon ein Highlight, viele Freunde kommen sogar von außerhalb zum Fahren oder Kaffee trinken.“
Auch für Christina Reiß ist die Umsetzung des barrierefreien Bauens in vielen Bereichen der Bahnstadt gelungen. Besonders das Bürgerhaus B3 am Gadamerplatz sei ein gutes Beispiel, wie man Teilhabe für möglichst viele Gruppen ermögliche. Das Haus verfüge über einen barrierefreien Zugang, sowie verschiedene Leitsysteme, eine gute Akustik für Menschen mit Einschränkungen sowie eine Induktionshöranlage für Hörbehinderte.
Reiß, Rebel und Mandalka haben für die nächsten Jahre weitere Verbesserungen im Blick: Während die Barrierefreiheit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gut sei, stünden Blinde und Sehbehinderte vor besonderen Herausforderungen. Diesen fehlen Orientierungsmöglichkeiten, da viele Gebäude noch nicht fertig seien. „Ein großes Problem sind auch Konflikte im Straßenverkehr mit anderen Verkehrsteilnehmern“, erklärt Reiß. Fehlende Rücksichtnahme auf Schwächere sei aber mehr ein allgemeines gesellschaftliches Problem. „Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen der Menschen“, resümiert Reiß.